Hardheim. (adb) Der 22. Oktober 1940 war ein trauriger Tag: Seinerzeit wurden die badischen Juden nach Gurs deportiert. Auch in Hardheim endete eine bis dahin das Ortsgeschehen prägende Zeit: Die letzten der damals noch 17 Mitglieder umfassenden jüdischen Gemeinde wurden auf dem Schlossplatz in einen Bus verbracht – mit traurigem Ziel.
Über drei Phasen des jüdischen Lebens in der Erftalgemeinde unterhielt sich die Rhein-Neckar-Zeitung mit der inzwischen 87-jährigen Zeitzeugin Hildegard Wanitschek. Ihr 2016 verstorbener Mann Gerhard hatte es sich zur Lebensaufgabe gemacht, die Geschichte der Hardheimer Juden zu dokumentieren und organisierte zahlreiche Besuche der Nachkommen jüdischer Familien im Erftal sowie 2002 die Errichtung der Gedenkplatte im Alpengarten.
Zur Hardheimer Geschäfts- und Einkaufswelt gehörten in ihrer Kindheit zahlreiche Geschäfte jüdischen Eigentums. „Als kleines Mädchen habe ich meine Mutter sehr gern und oft zu den Einkäufen begleitet“, blickt sie zurück und erinnert sich an das Woll-/Kurzwarengeschäft der Schwestern Sophie und Amalie Schwarzmann in der heutigen Walldürner Straße. „Die ganze Wand hing voll bunter Wolle – und ich bekam immer ein Gutsle“, erklärt Hildegard Wanitschek. Die Geschwister wanderten 1937 in die USA aus. Nicht weit davon entfernt befand sich das Bekleidungsgeschäft Urspringer. „Ein wunderbares Geschäft, in dem mein Vater sich einen tollen Anzug gekauft hatte“, betont die Hardheimerin, die sich ebenso gut an die Eisenwaren- und Maschinenhandlung von Abraham Selig erinnern kann. Sie befand sich im traditionsreichen „Haus Selig“ in der Walldürner Straße/Ecke Bretzinger Straße (heute Autohaus Günther).
Durchaus sei es damals zu Diffamierungen und Verunglimpfungen jüdischer Mitbürger gekommen, im Ganzen jedoch habe man ein „im Grunde nachbarschaftliches und gutes Zusammenleben der Religionen“ gehabt. „Man ging in die Geschäfte und unterhielt sich miteinander – ob der Andere ein Jude war oder nicht, spielte für viele keine Rolle. Juden waren aus Hardheim damals praktisch nicht wegzudenken“, schildert die 87-Jährige. Ähnliches geht aus den 1965 veröffentlichten Lebenserinnerungen des 1894 in Hardheim geborenen, 1938 nach Isreal ausgewanderten Dr. Oskar Eschelbacher hervor: Er konstatierte, dass sein Vater mit Pfarrer Joseph Stephan in der „Rose“ manchen Wein in froher Runde getrunken habe und verwies auf eine gute persönliche Freundschaft.
„Leider gehören auch traurige Vorkommnisse zu meinen prägenden Begegnungen mit den Hardheimer Juden“, so Hildegard Wanitschek heute. Ihre Mutter etwa versorgte über Jahre hinweg die zu den ärmsten Juden Hardheims zählende Familie von Sigmund Simon mit Eiern und Brot. „Eines Tages wurde sie von einer Nachbarin über ein an unserer Gartentür in der Burggasse angebrachtes Pappschild informiert – auf dem Schild stand sinngemäß, dass sie dorthin käme, wo sie hingehöre, würde sie einmal noch einem Juden etwas geben“, erinnert sie sich. Sigmund Simon sehe sie noch heute vor sich: „Da wir Hühner hatten, bekam er immer die Eier – als er kam, steckte er sie dankend in die Taschen seiner ausgebeulten Jacke“, betont sie. Auch den Abtransport nach Gurs hat sie noch in Erinnerung: Seinerzeit hatte Hildegard Wanitschek mit ihrer Mutter am Marstallgebäude gestanden. „Die Menschen standen in Reih und Glied und dunkel gekleidet auf dem Platz“, erklärt sie. Ein Junge hatte angeboten, einer betagten Jüdin ihren Koffer in den Bus zu tragen: „Ein Mann untersagte ihm die Hilfe mit dem Argument, eine Judenfrau solle doch ihr Gepäck gefälligst allein tragen“, sagt sie und spricht von „grausamen Gesten und Worten“.
Eine weitere nachdenklich stimmende Begebenheit unterdessen kam erst Jahrzehnte später ans Licht. Als im Oktober 2002 die Namenstafel der deportierten Hardheimer Juden am Gedenkstein im Alpengarten eingeweiht wurde, suchte Jack Löwenthal – ein damals in London wohnhafter Enkel Abraham Seligs – während eines Spaziergangs die Stätten seiner Hardheimer Vorfahren auf. „Dabei hatte er uns anvertraut, in einem Geschäft mit den Worten‚ dich haben sie wohl vergessen zu vergasen’ begrüßt worden zu sein“, gibt Wanitschek die Begebenheit wieder. „Was geht in einem Menschen vor, dem man eine solche Frage an den Kopf wirft?“, fragt sie sich mit gewisser Fassungslosigkeit.
Auf der anderen Seite erlebt sie die Nachwirkungen des jüdischen Lebens ihres Heimatorts bis heute in persönlichen Freundschaften. Während der als Manfred Billigheimer geborene Moshe Ben Jaacov bis zu seinem Tod 2019 mehrfach in Hardheim gewesen war und stets das Grab des Vaters besucht hatte, wird mit der 1930 geborenen Ruth Lapidoth – einer Enkelin der Familie Eschelbacher – seit Jahrzehnte eine ähnliche Freundschaft gepflegt. „Sie hatte an der hebräischen Universität in Jerusalem gelehrt, aber auch einen Lehrstuhl in München inne und stattete uns von dort aus regelmäßige Besuche ab“, erklärt Hildegard Wanitschek, die mit Lapidot noch heute in Kontakt steht. Eine ähnliche Verbindung besteht zu den Gebrüdern Halle und deren Nachkommen. „Sie lebten in Würzburg, verbrachten aber jede freie Minute bei ihren Großeltern in der Wertheimer Straße“, informiert sie. Zum letzten Besuch des inzwischen verstorbenen Eli Halle nebst Söhnen kam es im Sommer 2015. „Über Generationen hinweg ist der Kontakt nie abgerissen“, freut sich die Zeitzeugin und verweist auf viele Erinnerungen.
Näheres zum jüdischen Leben in Hardheim ist unter der Sonderausstellung zu finden: http://www.erfatal-museum.de/sonderausstellungen/juedisches-leben/