Gedenken 80 Jahre Deportation der Hardheimer Juden nach Gurs

Mit einer würdigen, emotionalen und ergreifenden Gedenkstunde erinnerten zahlreiche Bürgerinnen und Bürger Hardheims des 80. Jahrestages der Deportation der letzten 17 Juden am 22.10.1940.

Auf den Tag genau und an der gleichen Stelle, wo die Juden von Hardheim Abschied nahmen, hatte der Museumsverein Erfatal e.V. zu diesem Gedenen eingeladen. Das Hardheimer Schloss im Hintergrund und Kerzen als Beleuchtung des Veranstaltungsortes stellten den äußeren, feierlichen Rahmen dar, ehe die Vorsitzende des Vereins, Ortrud Biller die Veranstaltung eröffnete und alle Anwesenden und Mitwirkenden begrüßte. Über sechshundert Jahre lebten Christen und Juden in Freundschaft und gegenseitigem Respekt harmonisch zusammen, ehe die schmerzhafte Trennung geschah.

In seinem Gedenkwort stellte Bürgermeister Volker Rohm fest, dass Empathie, Mitgefühl und Menschlichkeit unter dem Machtapparat der Nationalsozialisten seinerzeit nicht zugelassen waren. Galten doch nach dem damaligen Sprachschatz die jüdischen Mitbürger um Menschen zweiter Klasse oder gar Rasse. Für heutige Menschen stelle sich vielleicht die Frage:

„Ich war nicht dabei! Vielleicht hätte ich mich gewehrt oder aufbegehrt! Vielleicht – wohl eher nicht – ja, ziemlich sicherlich nicht“.

Darum gelte es heute der unschuldigen Opfer zu gedenken, aber auch daran zu erinnern, was Folter, Mord, Vertreibung und Zerstörung bewirken können, und aus diesen Erinnerungen die Kraft zu schöpfen, dass sich solches nicht wiederhole. Der heutige Tag markiere das Ende eines harmonischen und fruchtbaren Zusammenlebens über hunderte von Jahren. Sein Dank galt den Organisatoren wie Besuchern dieser Veranstaltung.

Von der jüdischen Gemeinde Mannheim kam eigens deren Kantor Pinchas von Piechowski, der hebräisch den Psalm 23 „Mismor le David“ sang. Mit seiner sonoren und kräftigen Stimme zauberte er eine feierliche Stimmung in den nächtlichen Himmel Hardheims.

Danach trugen Jugendliche aus Hardheim einen geschichtlichen Abriss vor vom Beginn des jüdischen Lebens in Hardheim bis zur schicksalsträchtigen Zeit seit der Machtübernahme der Nazis bis zur Deportation aus der badischen Heimat nach Gurs in Südfrankreich. In drei Abschnitten beleuchteten die Jugendlichen mögliche Antworten, die aufzeigten, dass sich die Juden eigentlich sicher fühlen konnten und es „nicht so schwer wird“, was da auf sie zukomme. Mit einer kleinen Auswahl an Zitaten aus Gesetzen und Verordnungen des Dritten Reiches zeigten die Jugendlichen auf, wie sich das bürgerliche Leben der Juden immer mehr einengte, ihnen Rechte vorenthielt um sie zu diskreditieren und zu demütigen. Schließlich trugen die Jugendlichen die Namen der deportierten Hardheimer Juden vor, nannten deren Alter und ihr weiteres Schicksal nach dem Abtransport aus dem Erftal.

Mit dem „El Male Rachamim“, das Kantor von Piechowski vortrug, wurde spürbar wie sehr Juden durch das ihnen zugefügten Unrecht auch heute noch leiden. Aus seinem hebräischen Text des Klageliedes waren deutlich die grausigen Vernichtungsorte, an denen Juden ihr Leben lassen mussten, zu vernehmen. Nach dem letzten Ton des Kantors aus Mannheim herrschte eine einzigartige, betroffene und einige Minuten lange feierliche Stille auf dem Schloßplatz.

„Wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben“, zitierte Pfarrer Markus Keller von der evangelischen Kirchengemeinde Hardheim zu Beginn seines Gedenkwortes das Eingeständnis der evangelischen Kirche Deutschlands nach dem Kriege in 1945. Um die Menschheitskatastrophe im Dritten Reich nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, hätten nachfolgende Generationen die Chance und die Pflicht aus den Fehlern der Vorfahren zu lernen. Es gelte, immer wieder neu die Schlüsse aus der Vergangenheit zu ziehen, dass nie wieder die Menschenwürde zu Disposition stünde und nie wieder dürfe Menschenfeindlichkeit wissenschaftlich legimitiert werden.

Für uns setze die jüdisch-christliche Tradition den Maßstab und erteile den Auftrag, dass die Liebe zu Gott und die Liebe zum Menschen das Maß aller Dinge sei und bleibe. Denn dann, wenn der Gedanke an Gott in Vergessenheit gerate oder aktiv verdrängt werde, stehe auch bald das Konzept der Menschenwürde auf wackligen Beinen.

Ortrud Biller, der Vorsitzenden des Museumsvereins Erfatal e.V. blieb es vorbehalten, die Veranstaltung zu schließen und den Akteuren des Abends für ihren Beitrag herzlich zu danken. Ihr besonderer Dank galt dabei Kantor von Piechowski, der eigens aus Mannheim angereist war, sowie den Jugendlichen, die alle Texte verfasst hatten und vortrugen. Insbesondere die Jugendlichen machten auf die Besucher einen ganz besonderen Eindruck, denn diese waren mit großem Engagement dabei, wobei jedes Licht, das von ihnen vorgetragen und später gelöscht wurde, einen oder eine deportierte jüdische Mitbürgerin oder Mitbürger symbolisierte.

Und wohl selten hat eine Veranstaltung in Hardheim einen derart emotional tiefen Eindruck hinterlassen als diese. Das spürte man an den Diskussionen und Gesprächen unter Beachtung der Corona-Hygienevorschriften sowie an dem nachdenklichen Verhalten der Besucherinnen und Besucher nach dem offiziellen Teil der Gedenkstunde und beim Verlassen des Schlossplatzes.

Zu bedauern ist einzig, dass die regionale Presse keine/n Mitarbeiter/In für die Berichterstattung über diese eindrucksvolle Veranstaltung bereitstellte.

Text: Hans Sieber – Bilder: Horst Bernhard



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