Texte der Abteilung Walter Hohmann und die Raumfahrt

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Walter Hohmann

geboren am 18. März 1880 in Hardheim
gestorben am 11. März 1945 in Essen

Ihm verdankt die Welt die Berechnung der Bahnen für die Raumfahrt zur Erreichbarkeit der Himmelskörper.


 

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Die Eltern

Seit 1873 lebt Dr.Rudolph Hohmann mit seiner Frau Emma als praktischer Arzt und Chirurg am Spital in Hardheim.

Nach dreijähriger Tätigkeit als Hofarzt des Fürsten von Leiningen in Amorbach übersiedelt die Familie mit dem Vater nach Port Elizabeth in Südafrika.

Als Dr. Rudolph Hohmann während einer Deutschlandreise vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs überrascht wird, meldet er sich trotz seines hohen Alters freiwillig und wird Arzt im Kriegsgefangenenlager Amberg.


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Kindheit und Jugend

Alle Kinder der Familie Hohmann werden in Hardheim geboren: Eleonore 1875, Caroline 1876 und Walter 1880.

Die Familie wohnt im Hardheimer „Arzthaus“, wo Walter Hohmann seine Kinderjahre verbringt.

Nach der Übersiedlung der Familie nach Südafrika Ende 1885 wächst Walter Hohmann in Port Elizabeth auf. Dort besucht er auch bis 1891 die englische Volksschule.

Den Rest seiner Schulzeit absolviert er allerdings zum größten Teil in Deutschland – am Humanistischen Gymnasium in Würzburg, um dort nach dem Willen seines Vaters das Abitur zu machen.

Walter Hohmann lebt in Würzburg in Pension bei Rektor Professor Dr. Bergmann. Im Jahr 1900 legt er sein Abitur ab.

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Eckbalken des Hohmann-Geburtshauses; 1610

Die Inschrift auf dem Balken des heute nicht mehr bestehenden Hauses lautet: 1610 / MARIA BAUMENIN / DISER BAU / AUFGESCH/LAGEN ST / GOT DEM / HERN SEI LO / ZU ALLER / FRIST / GOT WOLL / IHN BE/EN VO/LEM .


 

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Der Beruf

Nach dem Abitur studiert Walter Hohmann an der Technischen Hochschule in München; 1904 legt er sein Staatsexamen als Diplom-Bauingenieur ab.

Bis kurz vor dem Ersten Weltkrieg arbeitet er in verschiedenen Städten und bei verschiedenen Firmen: in Wien, Berlin, Hannover und Breslau. 1912 findet er in Essen am städtischen Hochbauamt eine Stellung – er baut die statische Abteilung und die Materialprüfstelle auf, deren Leiter er bis 1945 bleibt.

In den Krieg ziehen muß Walter Hohmann nicht – 1915 leistet er acht Monate Kriegsdienst als Landsturmmann in Mülheim an der Ruhr.

Seine 1916 eingereichte Dissertation – „Über das Zusammenwirken von altem und neuem Beton in Eisenbetonkonstruktionen“ – bleibt durch den Krieg liegen. Erst im April 1919 teilt die Technische Hochschule Aachen – noch unter dem Siegel „Königliche“ – die Annahme der Dissertation mit. Es wird Walter Hohmann freigestellt, die mündliche Prüfung erst „nach Friedensschluß“ abzuhalten.

Nach dem Ersten Weltkrieg trägt sich Walter Hohmann noch einmal mit beruflichen Änderungsplänen: er bewirbt sich um eine Professur an der Badischen Höheren Technischen Lehranstalt in Karlsruhe. Die Bewerbung scheitert jedoch an Gehaltsfragen.

Exponattexte

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Ein Schreiben der Königl. Technischen Hochschule Aachen vom April 1919, in dem Walter Hohmann die Annahme seiner Dissertation mitgeteilt wird; für die mündliche Prüfung wird es Hohmann freigestellt, ob er „unter den gegenwärtigen Umständen herzukommen“ versucht oder „die Angeleegenheit bis nach Friedensschluß vertagen“ will.

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Mit diesem Schreiben des Staatlichen Materialprüfungsamts in Berlin vom 7. Februar 1920 wird Walter Hohmann mitgeteilt, daß das Amt seine Dissertation angekauft hat, um sie „für seine Zwecke zu verwerten“.


 

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Raumfahrt als Steckenpferd

Schon vor dem Ersten Weltkrieg zieht es den Bauingenieur Walter Hohmann hin zu einem ganz anderen Fachgebiet: in seiner Freizeit beschäftigt er sich intensiv mit dem Thema Weltraumfahrt.

Zu dieser Zeit ist der Gedanke, daß Menschen einmal zum Mond oder noch weiter fliegen, reine Utopie – Science Fiction von Menschen vom Schlage eines Jules Verne.

Dagegen setzt Walter Hohmann seine sehr konkrete Utopie: noch in der Zeit des Krieges wendet er die Gesetze der klassischen Himmelsmechanik auf künstliche Flugkörper an und führt erste Bahnberechnungen durch.

Seine Ergebnisse hält er in einer Kladde mit dem Titel „Über die Erreichbarkeit des Mondes und der Planeten“ fest; eine Seite der Kladde ist auf den 4. März 1917 datiert.


 

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Familienleben

1915 heirateten Walter Hohmann und Luise Jünemann; 1916 wurde der erste Sohn Rudolf, 1918 der zweite Sohn Ernst geboren.

Hohmann hatte schon vor seiner Ehe seine Ansichten zum Leben, zur Liebe und zur Kindererziehung in einem umfangreichen Manuskript – „Briefe an mich selbst“ – niedergeschrieben.

Seine von Humanismus und Aufklärung bestimmten Lebensgrundsätze wurden im Alltag der Familie verwirklicht: „Kinder müssen aufwachsen wie Blumen in einer Wiese. Ist der Boden gut, gedeihen sie auch gut.“

Den militaristischen Zeitgeist des Kaiserreichs lehnte Walter Hohmann ab: „Nur kein Kadavergehorsam! der erzieht zum Heucheln und ist des Übels Anfang!“

In den zwanziger Jahren stand im Alltag der Familie das Steckenpferd des Vaters im Vordergrund: „Vom Weltraum- und Raketenfieber waren wir alle ergriffen“ berichtet Rudolf Hohmann. „So gab es Lesezeichen mit feuerbeschweiften Raketen zu Vaters Geburtstag, Geschichten »Raketen bei den Indianern« als Hausaufsatz und Gedichte zum Thema…“


 

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Der lange Weg einer Idee

Nach dem Krieg bietet Walter Hohmann sein Manuskript – die „Kladde“ – vergeblich zur Veröffentlichung an. Aber man reagiert mit Unverständnis und ohne Interesse – noch immer gelten die wenigen, die an die Möglichkeit bemannter und unbemannter Raumflüge glauben, als Phantasten.

Erst als Walter Hohmann im Januar 1925 auf das gerade erschienene Buch „Die Rakete“ von Hermann Oberth stößt, das im Oldenbourg-Verlag in München erschienen ist, zeichnet sich eine erste Anerkennung seiner Arbeit ab. Der Oldenbourg Verlag reagiert postwendend auf die Einsendung des Manuskriptes und gibt es an Max Valier und Hermann Oberth zur Begutachtung weiter.

Allerdings bringen Rezensionen des Buches, das im Herbst 1925 erscheint, das allgemeine Unverständnis gegenüber den ihrer Zeit vorauseilenden Gedanken und Überlegungen Hohmanns zum Ausdruck: so wirft ein Rezensent Walter Hohmann vor, er schade dem Ansehen der Mathematik, da er „von der Erfahrung zu weit abliegende große Sprünge“ mache.


 

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Die Erreichbarkeit der Himmelskörper

Hohmanns Hauptwerk erschien im November 1925 in einer Auflage von 2.100 Exemplaren zum Preis von 5.- RM.

Im Kreis der anderen „Phantasten“ wird es schnell als Grundlage weiterer Überlegungen und Forschungen akzeptiert: Wernher von Braun nennt Hohmanns Berechnungen „bahnbrechend“.

In den fünf Kapiteln des Buches untersucht Walter Hohmann systematisch die einzelnen Abschnitte des Raumfluges zwischen den Planeten unseres Sonnensystems: den Start von der Erde, die Rückkehr auf die Erde, der freie Flug im Raum, Umlaufbahnen um Mond und Planeten und schließlich die Landung auf Mond und Planeten.

Hohmanns Grundgedanke liegt dabei in der gleichsinnigen Ausrichtung der Erd- und Planetenbahnen: dadurch kann die hohe Eigengeschwindigkeit der Planeten für den künstlichen Raumflugkörper nutzbar gemacht werden.

Die günstigste Flugroute zwischen zwei Planeten ist nach Hohmann annähernd eine Ellipse, die die Kreisbahnen von Start- und Zielplanet berührt. Noch heute heißen solche Bahnen Hohmann-Bahnen: beispielsweise ist die Sonde Voyager 2 seit 1977 auf einer solchen Bahn unterwegs und hat im August 1989 den Planeten Neptun passiert.

Hohmann erkennt schon vierzig Jahre vor dem ersten bemannten Raumflug die besonderen Schwierigkeiten beim Start und vor allem bei der Rückkehr zur Erde. Ebenso formuliert und berechnet er vorausschauend die Zusammenhänge zwischen Masse bzw. Gewicht eines Flugkörpers, notwendiger Beschleunigung und Flugdauer.

Unter seinen Vorschlägen zur konkreten Verwirklichung findet vor allem der Gedanke später Anwendung, daß eine Landung auf einem anderen Planeten durch ein leichtes Beiboot am günstigsten durchzuführen ist.


 

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Die Möglichkeit der Weltraumfahrt

„Jeder, der eine weite Reise vor hat, tut gut daran, vorher einen genauen Reiseplan auszuarbeiten, der ihm Klarheit über die einzuschlagende Reiseroute und die voraussichtliche Reisedauer verschafft…“

Mit diesen Worten leitet Walter Hohmann seine zweite Veröffentlichung ein: den Aufsatz „Fahrtrouten, Fahrtzeiten, Landungsmöglichkeiten künstlicher Raumflugkörper“ in Willy Leys 1928 erschienenem Buch „Die Möglichkeit der Weltraumfahrt“. An diesem Buch arbeiteten neben Hohmann auch Oberth, Debus und andere Raumfahrtpioniere mit.

Die Selbstverständlichkeit, mit der Hohmann in diesem Beitrag regelrechte Fahrpläne für den interplanetaren Verkehr entwickelt, stützt sich nicht zuletzt auf den technischen Fortschritt, der seit der Niederschrift seines ersten Buches erzielt werden konnte. Vor allem die Raketentechnik kommt voran: Max Valier entwickelt zusammen mit Fritz von Opel ein Auto mit Raketenantrieb (1928), 1929 fliegt das erste raketengetriebene Flugzeug.

Die Weiterentwicklung seiner Bahnberechnungen auf der Grundlage des technisch immer mehr Vorstellbaren führt Walter Hohmann nun zu der Lösung, auf dem Mond eine Basis für interplanetare Raumflüge einzurichten und so die geringere Schwerkraft des Erdtrabanten zur Reduzierung des Startgewichts zu nutzen.

Hohmanns Fazit lautet allerdings, „daß auch bei Benützung des Mondes als Stützpunkt vorläufig die Beschränkung auf den Verkehr mit den beiden Nachbarplaneten Venus und Mars geboten erscheint…“


 

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Im Kreis der Raumfahrtpioniere

Die wenigen Wissenschaftler, die in den zwanziger Jahren und teilweise schon vorher an der Entwicklung der Raketen- und Raumfahrttechnik arbeiten, stehen in engem Kontakt miteinander, auch über Länder- und Sprachgrenzen hinweg.

Nach Erscheinen seines Buches wird Walter Hohmann ganz selbstverständlich in diesen Kreis einbezogen. Er korrespondiert mit den meisten bedeutenden Forschern seiner Zeit – mit den Russen Ziolkowski und Rynin, dem Franzosen Esnault-Pelterie, dem Rumäniendeutschen Oberth.

Der Raketenpionier Max Valier ist häufiger Gast bei Familie Hohmann in Essen.

Ende der zwanziger Jahre beginnen sich in Deutschland die Raumfahrt-Interessierten zu organisieren: in Berlin wird der Verein für Raumschiffahrt gegründet, der seit 1930 den ersten Raketenflugplatz unterhält. Dort startet 1931 die erste deutsche Flüssigkeitsrakete Mirak 1.

Hohmann wird mehrfach der Vorsitz des Vereins angetragen, was er jedoch ablehnt. Anfang der dreißiger Jahre zieht er sich aus dem Kreis zurück und lehnt weitere Mitarbeit ab, so im Herbst 1932 an einem Buch über die bedeutendsten Raketenforscher.

Er begründet seine Ablehnung mit Zeitmangel. Aber auch die politischen Ereignisse werfen ihre Schatten voraus.

Exponattexte

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Ein Brief von Professor Nicolas Rynin aus Leningrad an Walter Hohmann aus dem Jahr 1926 mit der Bitte um Unterstützung bei der Herausgabe eines Buchs über die Geschichte der Raumfahrt.

W 9.4

Als Reaktion auf seinen Beitritt zum Verein für Raumschiffahrt in Breslau im Jahr 1927 wird Walter Hohmann aufgefordert, im Vorstand des Vereins mitzuarbeiten.

W 9.5

Widmung des französischen Raumfahrtpioniers Esnault-Pelterie für Walter Hohmann aus dem Jahr 1930; er schreibt: „Es freut mich Ihnen dieses Buch als Zeichen meiner aufrichtigen Anerkennung Ihrer wertvollen kosmonautischen Arbeiten senden zu können.“

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Ein Brief Hermann Oberths an Walter Hohmann aus dem Jahr 1930: Hohmann soll den Vorsitz im Verein für Raumschiffahrt übernehmen.

W 9.6a

Briefkonzept Walter Hohmanns für ein Antwortschreiben an Hermann Oberth vom 12.1.1931: er lehnt den Vorsitz „wegen starker beruflicher Inanspruchnahme“ ab, aber auch aufgrund von Bedenken gegen die Berliner Vereinsführung, an der ihn „hauptsächlich die für den nichtberliner Geschmack etwas allzu reklamehafte Aufmachung der Vereinsmitteilungen sowie das geheimnisvolle Schweigen über die gegenwärtige Finanzlage des Vereins stört“.

W 9.7 / 9.8

Am 17. November 1932 bittet Werner Brügel mit dieser Postkarte Walter Hohmann um die Mitarbeit an einem Buch „über die bedeutendsten Raketenforscher“; Hohmann antwortet: „Leider ist es mir gegenwärtig aus Zeitmangel nicht möglich, einen auch nur kurzen Beitrag zu Ihrem Buch zu liefern. Ausserdem habe ich den Eindruck, dass in den letzten Jahren über und durch die Raketenspezialisten schon mehr geschrieben worden ist als der Sache zuträglich erscheint. Ein Wiedererwachen des eingeschlummerten Interesses kann m.E. nur durch praktische Versuchsergebnisse erwartet werden.“

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Walter Hohmanns Mitgliedskarte der Österreichischen Gesellschaft zur Förderung der Raumforschung, ausgestellt 1931.

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Walter Hohmanns Mitgliedskarte des Vereins für Raumschiffahrt Berlin, ausgestellt 1932.


 

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Lebensphilosophie

Seine Lebensphilosophie spielte für Walter Hohmann eine bedeutende Rolle, gerade in der Zeit des Dritten Reichs: er setzte seinen Humanismus gegen den Ungeist der Zeit.

Walter Hohmann brach den Kontakt mit den Wissenschaftlern ab, die wie Oberth und von Braun im Auftrag des Heereswaffenamtes in Peenemünde die erste Großrakete A 4 entwickelten, die als V 2 mehrere tausend Tonnen Sprengstoff nach England trug.

Hohmann hat mit feinsinniger Kritik nicht gespart – er hielt nichts von Kadavergehorsam und überspanntem Patriotismus; er kleidete seine Distanz gegen die Nationalsozialisten in Bildergeschichten und Glossen, die im Kollegenkreis kursierten.

In seinem Amt konnte man nicht auf ihn verzichten, zumal er durch seine Menschlichkeit sehr beliebt war. Allerdings wurde er auch nicht mehr zum Oberbaurat befördert.

Das Ende des Kriegs hat Walter Hohmann nicht mehr erlebt, auch nicht den Tod seines Sohnes Ernst an der Front: eine Woche vor seinem 65.Geburtstag starb er, entkräftet durch die ständigen Bombenangriffe und die mangelnde Versorgung, zwei Stunden vor der Zerstörung der Stadt Essen durch die Alliierten.


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Der Mond

Schon während des Krieges hatte Walter Hohmann vorausgesagt, daß die USA als erste den Mond erreichen würden.

Entscheidenden Anteil am Gelingen der ersten Mondlandung am 21. 7. 1969 hatten deutsche Wissenschaftler, die von der US-Army 1945 aus Peenemünde in die USA gebracht worden waren – allen voran Wernher von Braun und Hermann Oberth.

Wernher von Braun entwickelte das Apollo-Programm, das von vornherein die bemannte Mondlandung als Ziel hatte. Dabei wurde auf Hohmanns Gedanken vom Einsatz eines Beiboots zurückgegriffen; auch seine Überlegungen zu Flugphasen und -bahnen wurden weiterentwickelt.

Oberth und von Braun waren es auch, die Hohmanns Berechnungen und Vorarbeiten immer wieder gewürdigt haben, zuletzt durch die Initiative von Brauns, einen Mondkrater nach Hohmann zu benennen.

Hohmann und die Mondlandung

Exponattexte

W 11.1

Im Jahr 1958 schreibt Wernher von Braun – damals noch bei der Army Ballistic Missile Agency, der militärischen Vorläuferin der NASA – über die Bedeutung von Walter Hohmanns Buch: „Ich habe es bereits als Schuljunge verschlungen.“

W 11.2

Schreiben Wernher von Brauns aus dem Jahr 1970 an Walter Hohmanns Sohn Rudolf, in dem er ihm die Benennung des Hohmann-Kraters mitteilt.

W 11.7

Einige Manuskriptseiten aus der Feder Walter Hohmanns – zum einen mit einem ungewöhnlichen Vorschlag für eine Mehr-Stufen-Rakete, zum anderen mit dem trotzigen Ausruf „Aber wir kriegen ihn doch!“, den er auf einer Manuskriptseite vom 25. August 1923 gegen die Hindernisse des bemannten Raumfluges setzt: „Verfluchte Erde, von deren Schwerkraft wir uns nicht losmachen können!“
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Etwa fünfzig Jahre nach Walter Hohmanns ersten Überlegungen über die Erreichbarkeit des Mondes landeten am 21. Juli 1969 die ersten Menschen auf dem Mond; den Weg haben sie auf einer Hohmann-Bahn zurückgelegt, die Expedition folgte in ihren Schritten im Grunde seinen Anregungen.

Apollo 11 startete am 16. 7. 1969 vom John F. Kennedy Space Center auf Cape Canaveral aus (1); nach Zündung der zweiten Stufe der Trägerrakete Saturn 5 (2) Eintritt in eine erdnahe Parkbahn (3). Die dritte Stufe katapultierte Apollo in Richtung Mond (4). Unterwegs wurde die dritte Stufe abgesprengt (5), und die Mondlandeeinheit (LM) nach einem komplizierten Wendemanöver an die Kommandoeinheit (CM) angekoppelt (6).

Nach Eintritt in eine Mondumlaufbahn wird Hohmanns Idee realisiert, „dass nicht das ganze, für die grosse Reise ausgerüstete Fahrzeug mit allen Insassen die Landung und den Wiederaufstieg unternimmt, sondern nur eine leichte Art Beiboot mit einem einzelnen Beobachter (7 bis 10), während das Hauptfahrzeug den betreffenden Planeten umkreist. Nach erfolgter Rückkehr des Beobachters (11) kann das Beiboot zwecks Gewichtsersparnis abgestossen werden (12)…“ – so Walter Hohmann in einem 1927 veröffentlichten Aufsatz.

Die Kommandoeinheit wird auf die Flugbahn Richtung Erde gebracht (13), unterwegs die Versorgungseinheit abgesprengt (14); nach Wiedereintritt der Kapsel in die Erdatmosphäre (15) erfolgt die Landung im Pazifik (16).


W 15
Aspekte der Raumfahrt

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs schreitet die Entwicklung von Raketen- und Raumfahrttechnik in rasantem Tempo fort. Sie ist heute als einer der wichtigsten Technologieträger kaum mehr wegzudenken. Das Thema Weltraum ist deshalb sehr vielschichtig geworden.

An erster Stelle steht nach wie vor der militärische Aspekt. Nicht erst seit den amerikanischen Plänen zur Verteidigung aus dem Weltraum (SDI) wird die Raumfahrt unter diesem Gesichtspunkt gefördert und finanziert.

Eng damit verbunden ist der Aspekt des nationalen Prestiges: nicht nur die USA und die UdSSR forschen im All, inzwischen sind auch die Europäer und einige Schwellenländer der Dritten Welt wie Indien und China in den Kreis der Raumfahrtnationen aufgerückt.

Raumfahrt ist zu einem bedeutenden Faktor in den Volkswirtschaften der Industriestaaten geworden, auch wenn die Dimensionen des amerikanischen Apollo-Programms nicht mehr erreicht worden sind: an den 17 Missionen waren 300.000 Beschäftigte beteiligt; die Kosten beliefen sich auf 25 Milliarden US-$.

Raumfahrt besitzt inzwischen hohen praktischen Stellenwert im Leben der westlichen Nationen: sei es die weltweite Übertragung eines sportlichen Großereignisses oder das Telefonat mit Verwandten in San Francisco.

Letztlich spielt natürlich auch die wissenschaftliche Forschung eine Rolle, wenngleich allein der Forschung willen wohl kaum die hohen Kosten aufgewendet werden würden.

Exponattexte

W 15.4

Mercury Atlas Rakete, Maßstab 1:40; 1961/63

Mit Hilfe der Atlas-Trägerrakete wurden im Rahmen des amerikanischen Mercury-Programms zwischen 1961 und 1963 die vier ersten bemannten US-Raumflüge durchgeführt.

W 15.5

Gemini Titan Rakete, Maßstab 1:40; 1965/66

Die modifizierte militärische Rakete Titan II wurde als Trägerrakete des amerikanischen Geminiprogramms verwendet; die zweistufige Rakete transportierte in zehn Missionen bemannte Gemini-Raumkapseln in den Weltraum.

W 15.6

Apollo Saturn Rakete, Maßstab 1:40; 1968/69

Die dreistufige Trägerrakete Saturn 5 – 2.900 Tonnen Startgewicht, 111 m hoch – brachte innerhalb des Apollo-Programms der NASA Raumkapsel und Mondlandefähre auf ihre Bahn zum Mond.

W 15.7

Das Raketenversuchsgelände Peenemünde im Jahr 1943 mit drei V 2 Raketen – die ersten Flüssigkeitsgroßraketen der Welt wurden für militärische Zwecke entwickelt und gebaut. Jede der 14,2 m langen Raketen konnte 1000 kg Sprengstoff über 300 km weit tragen.


 

W 21

Höhenforschungsrakete Nike Tomahawk; 1969

Mit der hier gezeigten Nutzlastspitze einer Nike-Tomahawk-Höhenforschungsrakete wurde 1969 in USA ein Experiment zum Einfluß der Schwerelosigkeit auf den Stoffwechsel von Blutegeln durchgeführt.


 

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Modell des Forschungssatelliten Azur (Originalgröße); 1969

Der 1969 gestartete Forschungssatellit Azur war der erste Satellit, der in der Bundesrepublik Deutschland entwickelt und gebaut wurde. Der Satellit führte Messungen im Van-Allen-Strahlungsgürtel und Untersuchungen der Polarlichterscheinungen und des Sonnenwindes durch.
Die gesamte Oberfläche des Satelliten war mit 5044 Solarzellen zur Energieversorgung bedeckt, die eine Leistung von 44 W erbrachten; zur Ausrüstung des Satelliten gehörten neben einer Sende- und Empfangsanlage ein Protonenteleskop, ein Protonen- und Elektronendetektor – ein Zählgerät für geladene Teilchen-, ein Photometer und ein Magnetometer.

W 15A

Wettlauf ins Weltall

Nach dem Zweiten Weltkrieg beginnt im Zeichen des Kalten Krieges ein Wettlauf zwischen den USA und der UdSSR um die Erschließung des erdnahen Weltraums:
1949 Höhenrekord mit 400 km Höhe (A 4 mit WAC-Corporal-Rakete; USA)
1957 Sputnik 1 als der erste Satellit der Welt (UdSSR)
1957 die Hündin Lajka ist in Sputnik 2 das erste Lebewesen im All (UdSSR)
1958 Explorer 1 als erster amerikanischer Satellit
1959 Lunik 1 fliegt als erste Mondsonde am Mond vorbei (UdSSR)
1959 Discoverer 1 als erster Satellit mit militärischen Geheimaufträgen (USA)
1959 die Sonde Luna 2 schlägt auf dem Mond auf (UdSSR)
1959 Lunik 3 liefert erste Bilder der Mondrückseite (UdSSR)
1960 Pioneer 5 als erste Raumsonde zur Venus (USA)
1960 Tiros 1 als erster Wettersatellit (USA)
1960 Courier 1 B als erster Nachrichtensatellit (USA)
1961 J.Gagarin fliegt mit Wostok 1 als erster Mensch in den Weltraum (UdSSR)
1962 J.Glenn ist mit Mercury 6 der erste Amerikaner im All
1963 Walentina Tereschkowa ist in Wostok 6 die erste Frau im Weltall (UdSSR)
1965 A.Leonow bewegt sich beim Flug von Woschod 2 als erster Mensch im freien Raum (UdSSR)
1966 der Sonde Luna 2 gelingt die erste weiche Landung auf dem Mond (UdSSR)
1967 E.White, V.Grissom und R.Chaffee verbrennen bei einem Bodentest in einer Apollo-Kapsel (USA)
1967 verunglückt W.Komarow mit Sojus 1 tödlich (UdSSR)
1968 F.Borman, J.Lovell und W. Anders umkreisen mit Apollo 8 erstmals den Mond (USA)
1969 N. Armstrong, M.Collins und E. Aldrin fliegen mit Apollo 11 zum Mond, den Armstrong am 20. Juli als erster Mensch betritt (USA)
1971 Start der ersten bemannten Raumstation Saljut 1 (UdSSR)
1971 Apollo 15 bringt erstmals ein Fahrzeug zum Mond (USA)
1975 Mariner 10 fliegt in nur 375 km Abstand am Merkur vorbei (USA)
1975 Apollo-Sojus, erstes gemeinsames Raumflugprojekt von USA und UdSSR
1977 Start von Voyager 2 – erste unbemannte Expedition an den Rand des Sonnensystems (USA)
1978 Absturz des Satelliten Kosmos 954 über Kanada (UdSSR)
1979 Voyager 2 passiert den Jupiter (USA)
1980 L.Popow und W.Rjumin halten sich 184 Tage in Saljut 6 auf (UdSSR)
1980 Voyager 2 passiert den Saturn (USA)
1981 Flug des ersten Space Shuttle (USA)
1986 Voyager 2 passiert den Uranus (USA)
1989 Voyager 2 passiert den Neptun (USA)


 

W 17
„Eine makabre Propaganda für eine friedliche Sache…“
(Walter Hohmann 1945, angesichts einer aufsteigenden V 2)

Seit Erfindung der Rakete in der frühen Neuzeit und seit Beginn der Geschichte der Raumfahrt gehen Forschergeist und Waffentechnik immer wieder enge Verbindungen ein: Pulverraketen dienten im Europa des 19. Jahrhunderts als Waffe. Die ersten Großraketen trugen deutsche Bomben nach England – die in der Heeresversuchsanstalt Peenemünde entwickelte Rakete A 4 flog zwischen September 1944 und März 1945 über 4.300 Einsätze mit je 1000 kg Sprengstoff und sollte als Wunderwaffe Hitlers Krieg gewinnen helfen.

Die führenden Köpfe der nationalsozialistischen Raketenpläne arbeiteten mit wenigen Ausnahmen nach 1945 für die US-Armee – bei der Army Ballistic Missile Agency. Erst 1958 wurde die NASA als zivile Luft- und Raumfahrtbehörde gegründet.

Angesichts der V 2 sagte Walter Hohmann weiter: „Also wird doch wieder der alte Heraklith herhalten müssen, »bellum pater omnium«“»


W 20
„Die Völker alle beherrsche nur eine Macht, der Fortschritt…“
(Walter Hohmann 1912)

Fortschritt wird groß geschrieben im Bereich der Erforschung und Nutzung des Weltraums – aber nur zur Erreichung bestimmter Interessen, seien es kommerzielle, militärische oder nationale.

Aber Fortschritt als Selbstzweck kann es nicht geben: so scheint der Fortschritt im bemannten interplanetaren Raumflug seit der Beendigung des Apollo-Programms – im Gegensatz zur stürmischen Entwicklung im Bau von Satelliten und Sonden – zu stagnieren.

Dabei sind weniger technische Schwierigkeiten solcher Flüge ausschlaggebend als vielmehr finanzielle Erwägungen: anstehende Forschungsaufgaben können von vollautomatisierten Sonden weitaus kostengünstiger gelöst werden.

Auch fehlt bislang ein geeigneter Antrieb zur Erhöhung der Reisegeschwindigkeit – selbst Flüge zu den Nachbarplaneten dauern beim heutigen Stand der Technik zu lange, zumal die Auswirkungen der Schwerelosigkeit auf den menschlichen Organismus noch wenig erforscht ist – diesem Ziel hat sich neben anderen die sowjetische Raumforschung mit der Durchführung langer Aufenthalte im Raum verschrieben.

Walter Hohmanns Idee von der Erreichbarkeit der Himmelskörper für den Menschen wird deshalb wohl noch für einige Zeit Utopie bleiben.

Exponattexte

W 20.1

„Aber wir kriegen ihn doch!“ – diesen trotzigen Ausruf setzt Walter Hohmann auf einer Manuskriptseite vom 25. August 1923 gegen die Hindernisse des bemannten Raumfluges: „Verfluchte Erde, von deren Schwerkraft wir uns nicht losmachen können!“