Sommerliche Klänge

Bilder von Renate Mildner-Müller

25. Juli – 30. September 2001

Die Bilder von Renate Mildner-Müller

Prinz Jussuf
Psalm

Im Sommer 2001 schloss das Erfatal-Museum an seine Tradition an und zeigte eine Ausstellung mit Werken der Malerin, Graphikerin, Schriftkünstlerin Renate Mildner-Müller.

Die Künstlerin, 1940 in Kronstadt / Siebenbürgen geboren, lebt seit 1977 im württembergischen Winnenden. Sie arbeitet als freischaffende Künstlerin und Buchillustratorin, und sie hat für ihre Arbeiten viele Preise und Auszeichnungen bekommen.

Einzelausstellungen mit Werken von Renate Mildner-Müller waren schon in Stuttgart und München, Freiburg und Saarbrücken, Frankfurt, Augsburg, Wiesbaden, Mannheim und immer wieder – es liegt nahe – in der Umgebung ihrer zweiten Heimat zu sehen.

Dass sie den Weg in die badische Provinz gefunden hat, verdanken wir einmal mehr dem Hardheimer Kalligraphen Herbert Maring, und die Arbeiten von Renate Mildner-Müller verdeutlichen dies: Sie verwendet die Schrift und Schriftzeichen als eigenständige Elemente in ihrer Kunst, Elemente, die Interpretationshilfen geben, aber auch für sich selbst stehen können.

Die Aquarelle der Künstlerin haben oft märchenhafte Themen; sie sind zart bewegt wie ein Sommerwind, in ihnen sind leise Klänge verborgen, die im Thema der Ausstellung wiederkehren – sommerliche Klänge, die im Rahmen des historischen Ausstellungsortes, in der Kühle seiner dicken Mauern interessante und spannende Töne und Harmonien weckten.

Musik und Kunst – das Programm der Vernissage

In Anklang an das Thema der Ausstellung – „Sommerliche Klänge“ – bot die Vernissage eine musikalische Sensation: Der Trompeter Claus Reichstaller aus München – einer der führenden deutschen Jazz-Trompeter – lieferte zusammen mit dem jungen Organisten Steffen Markus Schlandt an der Museumsorgel den musikalischen Rahmen.

Der Organist Steffen Markus Schlandt stammt wie Renate Mildner-Müller aus dem siebenbürgischen Kronstadt, wo er 1975 geboren wurde. Seine Ausbildung erhielt er bei seinem Vater, Professor Eckart Schlandt, an der Hochschule für Musik in Klausenburg und in Trossingen bei Professor Bossert. Im Oktober 2001 wird er eine Dirigentenausbildung in Würzburg aufnehmen. Er wurde kürzlich bei einem namhaften Orgelwettbewerb in Schramberg ausgezeichnet.

Der Trompeter Claus Reichstaller, in seiner Jugend Preisträger im Wettbewerb „Jugend musiziert“, hat sich in die Spitzenklasse der deutschen Jazzszene gespielt, und die Liste der Musiker, mit denen er schon in Konzerten und bei CD-Produktionen zusammengearbeitet hat, ist lang und liest sich wie ein „Who’s Who“ des Jazz. Er war mit der Paris Reunion Band (Nat Adderly, Curtis Fuller u.a.) ebenso auf Tournee wie mit dem German Jazz Orchestra; er war einige Jahre lang Mitglied in Charly Antolinis Jazzpower, war und ist Solist in mehreren Big Bands – bei Peter Herbolzheimer, bei der WDR-Big Band, aktuell v.a. bei der SWR-Big Band –, und hat zusammen mit Axel Kühn das Quintett Conception gegründet. Claus Reichstaller ist Dozent für Jazz-Trompete am Richard-Strauss-Konservatorium in München, begehrter und stiloffener Studiomusiker (u.a. mit Klaus Doldinger, Udo Lindenberg, Lou Bega) und musikalischen Experimenten nicht abgeneigt.

Unzeitige Zeichen – Peter Wanner über die Arbeiten von Renate Mildner-Müller

Zur Einführung in die Kunst von Renate Mildner-Müller trug der frühere Museumsleiter Peter Wanner seine Gedanken vor; seine wichtigste These: Die verständlichen Zeichen in den Bildern der Künstlerin öffnen die Bilder für den Dialog mit dem Betrachter, ohne sie deshalb eindeutig zu machen. Vieles im Werk von Renate Mildner-Müller ist künstlerisches Sprechen über Kunst.

Unzeitige Zeichen – Peter Wanner über die Arbeiten von Renate Mildner-Müller

Ich falle gleich mit der Tür ins Haus und nehme das Auffälligste, das Augenfälligste heraus, das Charakteristische, das Merk-Würdige an den Bildern von Renate Mildner-Müller: Sie verwendet neben allem anderen auch Zeichen, die wir lesen können und die uns Zugang bieten zu den Bildern und ihren Inhalten.

Das ist deshalb auffällig, das drängt sich deshalb so in den Vordergrund, weil es in gewisser Weise unzeitgemäß erscheint – moderne Kunst, das sind doch die Bilder, deren Zeichen wir gerade nicht mehr verstehen, deren Sprache aus Chiffren besteht, aus Geheimzeichen, die alles oder nichts bedeuten können.

Viele Künstler suchen ihre Zeichen dabei im Archaischen, im Elementaren, aber auch das gehört für die meisten nicht mehr zum Zeichenvorrat, den sie verstehen, Betrachter und Bild führen keinen Dialog mehr, die Bilder verstummen, wenngleich sie immer lauter schreien.

Selbst dort, wo Bilder eigentlich so gemacht werden, dass sie verstanden werden sollten, dass sie eine Botschaft aussenden, die ankommen und uns zum Kauf eines bestimmten Produktes veranlassen soll, selbst dort, in der Werbung, sind ausdruckstarke Bilder und Bildfolgen voller Zeichen oft stumm, und wir reiben uns verwundert die Augen, wenn wir am Ende eines Werbespots voll dunkler, schwerer, mystischer Bilder mit dem Namen eines niederländischen Modehauses oder mit der Bank, die den Weg freimacht, konfrontiert werden.

Nicht so die Bilder, die wir heute betrachten. In ihnen finden wir vielfach Zeichen, Buchstabenzeichen, die uns sofort etwas erzählen, wir lesen und assoziieren schnell, verstehen auch die Bildzeichen leichter, erkennen Figuren, deuten Abstraktes, finden Sinnhaftes.

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Aber – ist verständliche Kunst noch Kunst? Ohne mich in die Untiefen des aktuell gültigen oder auch nur beanspruchten Kunstbegriffs zu begeben, der längst in die Beliebigkeit abzustürzen droht, indem er alles umfassen will, was sich selbst als Kunst ausgibt, und der sich damit selbst ad absurdum führt – selbst wenn wir nicht so weit gehen, einen Schritt zurückbleiben bei jener Definition, wonach Kunst sich dadurch vom Dekorativen, vom Kunst-Handwerk, vom Kitsch, vom Gebrauchsgegenstand unterscheidet, dass sie offen für verschiedene Auslegungen ist – Opera aperto, das offene Kunstwerk, nannte dies Umberto Eco 1962 –, selbst dann, gerade dann ist diese Frage angesichts der verständlichen Zeichen in Renate Mildner-Müllers Bildern berechtigt.

Die Frage liegt um so näher, als die Bilder, die wir hier betrachten, auch in der Bildsprache auf bekanntes referieren, sie illustrieren – und das ist ja auch die Wurzel der Künstlerin –, sie sind sogar, ich wage es kaum, das Wort in den Mund zu nehmen, ist es doch in den Augen der modernen Kunstkritik fast ein Schimpfwort: sie sind dekorativ, dem Auge gefällig, angenehm, heiter.

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An dieser Stelle kommt der biographische Hintergrund der Künstlerin in Blick:

Geboren und aufgewachsen in Kronstadt, dem heutigen Brasov, in Rumänien, genoss sie ab 1955 eine Ausbildung an der Kunstschule in ihrer Heimatstadt und studierte ab 1960 an der Kunstakademie in Klausenburg. Nach Abschluss des Studiums arbeitete sie als Illustratorin in Kronstadt.

1977 siedelte Renate Mildner-Müller in die Bundesrepublik Deutschland um; sie ließ sich im Schwäbischen, in Winnenden bei Stuttgart, nieder und arbeitet seither als freie Künstlerin und als Dozentin in der Erwachsenenbildung.

Die Motive ihrer Bilder haben oft märchenhaften Charakter, nehmen häufig Bezug auf kulturelle oder künstlerische Überlieferungen und Traditionen.

Die Kombination der Bild- und der Schrift-Zeichen schafft dabei zwar Anhaltspunkte, verrätselt aber auch wieder, öffnet die Bilder für die Kommunikation mit dem Betrachter, ohne dass sie eindeutig und damit langweilig werden.

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Wir wollen ein Beispiel nennen:

Zauberflöte

Die Figuren der Zauberflöte gruppieren sich auf einem Bild, links das Liebespaar, Tamino und Pamina, rechts kommt lustig der Vogelmensch Papageno ins Bild gesprungen. Die Figuren sind quasi beschriftet, und so sind auch die beiden aus der Geraden geratenen Figuren der Bildmitte zuordenbar: Sarastro und die Königin der Nacht. Auf den zweiten Blick erschrecken wir an dieser Stelle: Der Finsterling Sarastro hat kein Gesicht, hat durch die V-Form von Augenbrauen? Bart? fast monsterhafte Züge. Und die Königin der Nacht erscheint als Pendel, kopfstehend, sie hat die Harmonie der Figuren aus dem Lot gebracht, so dass auch Prinzessin Pamina nur Schatten bleibt, ohne Farbe.

Wir stellen fest: Das Bild bietet Raum für Deutungen, ist selbst Deutung. Renate Mildner-Müller illustriert, erläutert Kunst – Literatur, Musik – durch eigene Deutung, ihre Arbeiten werden zur Meta-Kunst, indem sie mit ihren darstellerischen Mitteln, mit ihrer Kunst, über Kunst spricht.

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Das klingt komplizierter als es ist – das künstlerische Sprechen über das künstlerische Sprechen ist alt, aber seit Beginn der Aufklärung, seit der Ablösung der Kunst vom Gebot der Mimesis mehr als häufig.

Ein zweites Beispiel: Prinz Jussufs Reise, eine Hommage an die Dichterin Else Lasker-Schüler. Auf sie nimmt Renate Mildner-Müller immer wieder Bezug, etwa auch in dem Bild „Das blaue Klavier“.

Else Lasker-Schüler war ein Paradiesvogel im Berlin der Jahrhundertwende, befreundet mit Franz Werfel, Karl Kraus, Franz Marc und wie sie alle hießen; sie zählte zum Kreis der frühen Expressionisten, lebte ihre Kunst, ihre Literatur auch außerhalb der Buchdeckel, machte das, was wir heute „Performance“ nennen, schuf sich mit eben jenem Prinz Jussuf, von dem uns dieses Bild erzählt, ein Alter-Ego; Else Lasker-Schüler kleidete sich wie dieser Prinz von Theben und wies ihren Freunden ebenfalls Rollen in dieser Phantasiewelt zu.

Der Prinz Jussuf, wie ihn Renate Mildner-Müller sieht, ist eine Figur auf der Flucht; sie strebt zum Bildrand hin, Schriftzeichen und die Schrift hinter sich lassend. Vielleicht so, wie Else Lasker-Schüler auf der Flucht war, zunächst in die Phantasie, dann nach 1933 in der Realität, wo sie der Weg ins Exil schließlich nach Jerusalem führte, wo sie 1945 verarmt starb.

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Je rätselhafter ein Werk ist, um so größer ist das Bedürfnis, darüber zu sprechen, und dieses Darüber-Sprechen ist sicherlich eine wichtige Funktion der modernen Kunst. Renate Mildner-Müller spricht mit Mitteln der Kunst über Kunst, über Musik – etwa die Zauberflöte –, über Literatur – etwa ein Gedicht von Else Lasker-Schüler.

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Sie spricht aber auch ganz direkt, dort, wo die Schrift kalligraphisch im Vordergrund steht, etwa in der Umsetzung des Psalmworts: „Du stellst meinen Fuß auf weiten Raum“. Hier weisen die Farben des Hintergrunds, die Position der Schrift und zusätzliche Zeichen auf Inhalte und Deutungsmöglichkeiten hinter den Worten: Vom zentralen „Du“, das wie eine Sonne oder wie die Pupille eines Auges über allem steht, bis hin zum „Raum“, auf dem alles ruht und der durch die versetzte Position der einzelnen Buchstaben eine dritte Dimension, eben Raum, erhält.

Also erweist sich unsere Anfangsfrage nach dem Kunstcharakter als rhetorisch, und die Arbeiten von Renate Mildner-Müller sind eben gerade im Sprechen über die Literatur, über die Musik, über die Kunst äußerst modern, ist doch diese Kunstebene neben der Abstraktion und Reduktion charakteristisch für die Gegenwartskunst.

Gingko

In einer ihrer Arbeiten greift Renate Mildner-Müller das berühmte Gedicht Goethes über den Gingko biloba aus dem west-östlichen Diwan auf („Dieses Baums Blatt, der von Osten / Meinem Garten anvertraut …“), das den Gedanken des Doppelten, das eine Einheit bildet, thematisiert. Dies belegt unsere These von der Kunst über die Kunst, denn schon Goethe spricht mit seinem Gedicht nicht zuletzt über die Gedichte der genannten Sammlung.

Und damit gelingt uns am Schluss sogar der Bogen zu Hardheim: Goethe hat das Gedicht über das Gingkoblatt am oder kurz vor dem 15. September 1815 geschrieben, wohl Bezug nehmend auf einen Gingkobaum im Heidelberger Schlossgarten – erst seit etwa 1800 taucht dieser Baum aus Ostasien in Europa auf, in Heidelberg steht einer der ersten. Goethe sandte das Gedicht an Marianne von Willemer, die letzte große Liebe seines Lebens, die er in diesen Tagen auch zum letzten Mal trifft – sie verlässt am 26. September zusammen mit ihrem Mann Heidelberg. Auch Goethe wollte abreisen, am 7. Oktober war es soweit, und die Reise ging über Würzburg nach Weimar zurück.

In Hardheim wurde zu Mittag gegessen, und es kam zu dem an anderer Stelle schon ausführlich gewürdigten Kuss. Auch dies ein Thema für das künstlerische Sprechen über die Kunst – Thomas Mann hat in seinem Roman „Lotte in Weimar“ beides verarbeitet.

Jetzt haben wir also den Bogen von unseren Ausführungen über Zeichen und ihre Deutung in der Kunst und in den Bildern von Renate Mildner-Müller bis nach Hardheim geschlagen, Verbindungen aufgezeigt und so auch auf diese Weise die wichtige Funktion der Kunst unterstrichen: Sie tritt mit uns in einen Dialog und sie bringt uns zum Sprechen miteinander.



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