Schriftkunst – Kalligraphie

Kalligraphie – die stille Kunst eine Feder zu führen

Ausstellung des Erfatal-Museums Hardheim vom 26. Juli bis 13. September 1998

In 5000 Jahren Geschichte hat sich die Schrift zur elementaren Ausdrucksform des Menschen entwickelt. Schrift ist in unserer Kultur allgegenwärtig. Dennoch werden Schrift und ihre Gestaltung nur selten bewußt wahrgenommen.

Clairvaux

Die von Herbert Maring entworfene Schrift “Clairvaux”.


Toskana-Werkwochen

Von Herbert Maring entworfene Buchseite, entstanden bei einer der von ihm ins Leben gerufenen Toskana-Werkwochen in Casore del Monte (1992).

Seit Jahren arbeitet der Hardheimer Schriftsetzermeister Herbert Maring als Kalligraph und hat sich mit seinen Arbeiten sowie als Verleger der „Kalligraphie Edition“ im kleinen Kreis der Schriftgestalter internationale Reputation erworben. So berühmte Schriftkünstler wie Hermann Zapf haben Blätter in dieser Edition veröffentlicht und in Hardheim den Druck in der Druckerei von Herbert Maring überwacht.

Maring selbst hat für die von Linotype-Hell aufgelegte und von Adrian Frutiger konzipierte Reihe „Type before Gutenberg“ mit Postscript-Schriften aus der Zeit vor der Erfindung des Buchdrucks eine frühgotische Buchschrift unter dem Namen „Clairvaux“ entworfen.

In der Werkschau im Hardheimer Erfatal-Museum waren Arbeiten aus den letzten Jahren zu sehen; dargestellt wurden aber auch allgemeine Aspekte der Schrift, der Schriftkunst und der Schriftgeschichte.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 


Texte und Materialien zur Ausstellung

Vortrag von Museumsleiter Peter Wanner zur Eröffnung

SchriftKunst. Kalligraphie – die stille Kunst eine Feder zu führen…

… so lautet der Titel unserer diesjährigen Sommerausstellung, und gleich 2x taucht in diesem Titel das Wort „Kunst“ auf. Allerdings in zwei Bedeutungen, und wenn wir diese etwas näher beleuchten, so erfassen wir einleitend das Wesen der Kalligraphie.

Kalligraphie, das ist zunächst das Schönschreiben, das schöne Schreiben, die gestaltete Schrift, Schriftkunst: der Kalligraph sucht durch die Verwendung von Schrift in ihren ungezählten historischen und modernen Formen und Möglichkeiten seinen künstlerischen Ausdruck. Allein dieses Suchen nach künstlerischem Ausdruck gilt in der heutigen Kunstauffassung als Vorbedingung für das Entstehen eines Kunstwerks, und insofern steht der Kunstcharakter der hier gezeigten Werke außer Zweifel.

In unserem Ausstellungstitel, in dem Kalligraphie als „die stille Kunst eine Feder zu führen“ bezeichnet wird, haben wir einen zweiten Begriff von Kunst: Im Gegensatz zum ersten Begriff deutet das Wort „Kunst“ hier nämlich auf das „Können“. Wer nämlich Schrift als gestalterisches Element verwenden will, der muß zunächst lernen, die Schrift zu beherrschen, muß ihre Formen und Eigentümlichkeiten studieren. Schrift muß Form haben, sonst verliert sie ihren Zeichencharakter, wird zur (unleserlichen) Un-Schrift, ist damit keine Kalligraphie mehr.

Der Kalligraph muß also erst Könner sein, bevor er Künstler wird – eine im modernen Kunstbetrieb kaum noch existente Voraussetzung für das künstlerische Gestalten.

Daß wir es hier bei uns mit einem zu tun haben, der SchriftKunst zunächst als Könnerschaft auffaßt, versteht sich fast von selbst. Vielleicht paßt zu Herbert Maring aber noch besser das Wort Meisterschaft – er ist ein Meister der Schrift, wie früher Künstler aller Gattungen als Meister bezeichnet wurden, wenn sie eine Stufe des Könnens erreicht hatten, die sie von anderen unterschied, und wenn sie überdies diese Könnerschaft an andere weiter vermittelten, so wie das Herbert Maring ebenfalls tut.

Der Kalligraphie hat sich Herbert Maring seit anderthalb Jahrzehnten verschrieben – nach einem Berufsleben als Schriftsetzermeister und Drucker, das eine lebenslange Beschäftigung mit der Schrift mit sich brachte und zur Voraussetzung hatte. Den Anstoß gaben Schriftkurse bei Prof. Karlgeorg Hoefer in Offenbach, wo Herbert Maring in Kontakt mit einigen der wichtigsten zeitgenössischen Kalligraphen und Schriftkünstlern kam – unter ihnen Hermann Zapf und Prof. Gottfried Pott.

Herbert Maring war seither vielfach kalligraphisch tätig – mit dem eigenen Verlag, als Schrift-Entwerfer, als Schrift-Lehrer und als Schaffender.

Nach einer Einführung zu Person und Vita zeigt unsere Ausstellung in vier Kapiteln Arbeiten von Herbert Maring – unter dem Titel „Schreiben und Schrift“ zunächst Arbeiten, die die Eigenart des kalligraphischen Gestaltens thematisieren. Hier steht vor allem der Zusammenhang zwischen Form und Inhalt, Schrift und Bedeutung im Vordergrund.

Im zweiten Kapitel werden Arbeiten gezeigt, die sich den traditionellen Feldern kalligraphischen Gestaltens widmen – der Urkundengestaltung, wobei wir uns hier bewußt auf ein Beispiel beschränkt haben, und der Gestaltung von Sinnsprüchen – Sprichwörter, Aphorismen, „Goldene Worte“, Bibelverse und Lebensregeln.

Für mich waren die Arbeiten der dritten Gruppe – unter dem Titel „Schrift und Literatur“ – besonders spannend. Hier wird Kalligraphie zur Meta-Kunst, indem sie literarischen Texten (also sprachlichen Kunstwerken) eine künstlerische Gestalt verleiht. Und hier wird die Spannung zwischen äußerer Gestalt und Inhalt besonders deutlich.

Ein Beispiel: Sie finden unter den dort gezeigten Werken einen Text von Franz Kafka, dessen Prosa etwas sehr Dichtes, manchmal auf Anhieb schwer Verständliches, Eigentümliches hat. Herbert Maring hat dies umgesetzt in einer Schrift, die sehr dicht gepackt ist, die man nicht auf Anhieb lesen kann, die nicht flüssig ist.

In diesem Text geht es um den Turmbau zu Babel: Sprache, Literatur, die das Entstehen der Sprachverwirrung, der gestörten Kommunikation thematisiert. Dies wird zum einen dadurch umgesetzt, daß der Text die Form eines Turms hat; die Basis des Turms ist der Beginn des Textes, der von unten nach oben zu lesen ist. Und die babylonische Sprachverwirrung kommt dadurch zum Ausdruck, daß das Lesen des Textes zunehmend erschwert wird durch verschobene Zeilen. Ein Kunstwerk im doppelten Sinne: ein sprachliches und ein gestalterisches, so vielschichtig, daß allein seine Interpretation leicht abendfüllend gestaltet werden könnte (auch das, mit Verlaub, ein Kriterium für ein gelungenes Kunstwerk: Die Kommunikation zwischen Betrachter und dem Kunstwerk, aber auch die Anregung zur Kommunikation, zum Diskurs zwischen den Betrachtern).

Ein letztes Kapitel in unserer Ausstellung steht unter der Überschrift „Schreibschrift und Druckschrift“ und bindet die entsprechende Abteilung unserer Dauerausstellung mit ein: für die Geschichte des Schreibens war die Erfindung des Buchdrucks das wohl einschneidendste Ereignis, und so fügen sich die Exponate dieser Abteilung – unter anderem ein Faksimile-Bogen aus einer Gutenberg-Bibel – harmonisch in die Ausstellung ein und bilden den thematischen Abschluss.


Die Texte der Ausstellung

Kalligraphie

Die Kalligraphie-Edition

Im Sommer 1985 gründete Herbert Maring zusammen mit seiner Frau einen eigenen Verlag – die Kalligraphie-Edition. Schwerpunkt der Neugründung war die Herausgabe kalligraphischer Blätter in limitierter Auflage; alle Blätter wurden von den Künstlern handsigniert.

Die Kalligraphie-Edition war auch auf der Frankfurter Buchmesse vertreten und präsentierte aus diesem Anlaß jeweils eine Zeitschrift über „Interessantes aus der Welt der Schrift“, die internationale Resonanz hatte.

Schließlich wurden in der Hardheimer Kalligraphie-Edition auch einige Bücher veröffentlicht, die sich mit der Kunst der Kalligraphie beschäftigten wie die 1989 zu Ehren von Professor Karlgeorg Hoefer erschienene Festschrift „Schriftkunst · Letterart“.

„Clairvaux“– eine neue alte Schrift

1991 erschienen bei Linotype-Hell unter dem Titel „Type before Gutenberg“ sechs Druckschriften, die auf historischen Handschriften beruhten.

Die Konzeption des Programmes lag bei dem berühmten Schriftkünstler Adrian Frutiger, der selbst eine Schrift entwarf; weitere Schriften der Reihe stammen von Prof. Karlgeorg Hoefer und Prof. Gottfried Pott.

Herbert Maring steuerte eine der frühgotischen Handschrift nachempfundene Schrift bei: die „Clairvaux“. Er mußte dabei zu den an historischen Vorbildern angelehnten Kleinbuchstaben Versalien (Großbuchstaben) entwickeln, die nach dem Urteil des Schriftexperten Albert Kapr „eine ästhetische Einheit ergeben“.

Schrift lehren

Als seine wichtigste Aufgabe bezeichnet Herbert Maring das Lehren der Schrift – eine Aufgabe, der er sich seit zehn Jahren vor allem im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Schrift schreiben im Kloster Schöntal“ im Bildungshaus Kloster Schöntal widmet.

In jährlich bis zu acht mehrtägigen Schriftkursen vermittelt er die Kunst des Schreibens; teilweise existieren Wartelisten zu den Kursen.

Schreiben in der Toskana

Zu den vielfältigen Aktivitäten von Herbert Maring zählen auch die von ihm ins Leben gerufenen Kalligraphie-Werkwochen in Casore del Monte in der Toskana, wo sich Teilnehmer aus mehreren Nationen der Kalligraphie widmen.


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